Diese Geschichte ist unglaublich: Der Physiker Anatoli Bugorski steckt seinen Kopf in einen Teilchenbeschleuniger und ein hochenergetischer Protonenstrahl schießt durch sein Gehirn. Was ist da bloß passiert?
Wer hat schon mal seinen Kopf in einen Teilchenbeschleuniger gesteckt und wurde dann versehentlich mit einem hochenergetischen Strahl beschossen? Niemand. Aber genau das ist Anatoli Bugorski geschehen, einem russischen Physiker, der am Institut für Hochenergiephysik in Protvino in Russland, damals noch Sowjetunion, arbeitete.
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Das Institut wollte die subatomaren Teilchen und die Eigenschaften der Kernphysik erforschen. Bugorski war an einer besonderen Forschung beteiligt, die sich mit dem Bau von Teilchenbeschleunigern befasste, einer Technik, mit der wir auch heute noch zum Beispiel am CERN in der Schweiz versuchen, die größten Geheimnisse des Universums zu lösen:: Gibt es weitere unbekannte subatomare Teilchen? Warum scheint die Quantenphysik die kleinste Ebene des Universums zu sein? Weshalb legen Leute Ananas auf Pizza? Letztere Frage werden wir wohl nie beantworten können.
Was sind Teilchenbeschleuniger?
Teilchenbeschleuniger sind Geräte, die subatomare Teilchen auf hohe Energien beschleunigen, um sie bei Kollisionen miteinander zu studieren. Die Ergebnisse dieser Kollisionen können im Optimalfall unser Verständnis der fundamentalen Eigenschaften des Universums verbessern. Bugorski arbeitete in den späten 70er Jahren am größten sowjetischen Teilchenbeschleuniger, dem U-70-Synchrotron, der Protonen auf Energien von bis zu 76 Gigaelektronenvolt beschleunigen konnte.

Ein sehr spannender Job, doch am 13. Juli 1978 hätte Bugorski sich vermutlich etwas weniger Spannung gewünscht. Bugorski wollte ein Problem mit dem Strahlrohr untersuchen, also der Röhre, innerhalb derer die Teilchen beschleunigt werden. Während er seinen Kopf in das Strahlrohr steckte, geschah das Unfassbare: Ein Protonenstrahl raste durch das Rohr und durchdrang seinen Schädel. Wie konnte das passieren? Die Antwort ist wie so oft: menschliches Versagen. Der Beschleuniger wurde von einem Kollegen aktiviert, der auch das Problem lösen wollte, wegen dem Bugorski seinen Kopf in das Rohr gesteckt hatte. Ein tragischer Arbeitsunfall und die Moral aus der Geschichte: Haltet eure Kollegen bei der Arbeit immer gut im Auge. Vor allem wenn sie Ananas auf Pizza legen.
Was passiert, wenn man von einem Protonenstrahl getroffen wird?
Was geschah in diesem Moment mit Anatoli Bugorski? Erstmal vorweg: Er hat es überlebt und konnte schildern, wie er das Durchdringen seines Hirns von einem Protonenstrahl wahrgenommen hat. Nach eigener Aussage sah er ein Licht heller als 1000 Sonnen, spürte aber keinen Schmerz. Äußerliche Verletzungen gab es auch nicht. Der Protonenstrahl war so energiereich, dass er durch den Schädel von Bugorski drang, ohne ihn zu durchbohren. Der Strahl bewegte sich mit so hoher Geschwindigkeit durch seinen Schädel, dass die Schäden auf eine kleinere Fläche konzentriert waren und seine äußere Haut so unbeschädigt blieb.
Im Gehirn von Bugorski löste der Protonenstrahl allerdings Schäden am Gewebe und den Zellen aus. Schäden an seinen Nervenfasern, die den Gesichtsmuskel kontrollieren, haben zu einer teilweisen Gesichtslähmung geführt. Der Protonenstrahl beschädigte auch die Nervenzellen im Ohr von Bugorski und führte zu einem anhaltenden Tinnitus, also einem ständigen Ohrgeräusch.
Bugorski zog seinen Kopf aus dem Strahlrohr, sein Gehirn durchbohrt von einem super energiereichen Protonenstrahl und die einzigen Nachwirkungen waren eine teilweise Gesichtslähmung und ein Tinnitus. Natürlich sind das tragische Folgeschäden, die Bugorskis Leben für immer veränderten – aber man muss hier wirklich von Glück im Unglück sprechen. Der Protonenstrahl hätte ihn töten können. Sein Glück war, dass der Strahl so schnell und so energiereich durch sein Gehirn flog, dass größere Schäden vermieden wurden.
Getroffen vom Protonenstrahl: Was geschah im Gehirn von Anatoli Bugorski?
Der Strahl durchdrang Bugorskis Hinterkopf, die sogenannten Okzipital- und Temporallappen seines Gehirns und das linke Mittelohr und trat durch die linke Seite seiner Nase aus. Diese Teile seines Kopfes erhielten eine Strahlungsdosis von 200.000 bis 300.000 Röntgen. Nur um sich das mal vorzustellen: Bei der natürlichen Strahlenbelastung, die auf den Durchschnittsmenschen wirkt, würde es eine Millionen Jahre dauern, um 300.000 Röntgen abzubekommen.

Das Durchqueren von Bugorskis Gehirns durch den Protonenstrahl verursachte eine Kaskade von Ereignissen, die zur Entzündung des betroffenen Gehirngewebes führte. Die Energie des Protonenstrahls reichte aus, um Atome und Moleküle im Gewebe zu ionisieren, was dann eine Kettenreaktion von chemischen Reaktionen in Gang setzte. Da stellt sich die Frage, wie um alles in der Welt Bugorski das überleben könnte und die Antwort ist: Niemand weiß es so richtig.
Dr. David J. Brenner, Leiter der Abteilung für Strahlungsbiologie am Columbia University Medical Center sagt: “Das Gehirn ist eine sehr empfindliche Struktur und wenn es mit hoher Dosis bestrahlt wird, kann es zu schweren Schäden kommen. Eine Strahlendosis, die so hoch ist wie die, die Bugorski erhielt, hätte in der Regel zum Tod führen müssen.”
Bugorski lebt immer noch
Es muss eine Verkettung von sehr vielen glücklichen Umständen gewesen sein, die Bugorski vor dem Tod bewahrt hat: Wie schon erwähnt die Geschwindigkeit des Strahls, der genaue Eintrittswinkel und der exakte neuronale Bereich der durchdrungen wurde und eine gute Regenerationsfähigkeit seines Gehirns. Es ist wohl nicht vermessen zu sagen, dass, wenn nur eine kleine Variable wie der Neigungswinkel seines Kopfes minimal anders gewesen wäre, Anatoli Bugorski heute tot wäre. Richtig gehört, er lebt immer noch und ist mittlerweile 81 Jahre alt, seine Lebenserwartung wurde durch das Ereignis also offensichtlich nicht betroffen.

Durch diesen Unfall sind die Sicherheitsvorkehrungen an Teilchenbeschleunigern heute wesentlich höher. In Anlagen wie dem CERN sind die Strahlrohre wesentlich besser abgeschirmt und die Sicherheitsprotokolle sind viel strikter. Heute werden zum Beispiel dicke Betonwände verwendet, die die Strahlrohre umgeben. Diese Wände sind in der Lage, den Großteil der energiereichen Teilchenstrahlen aufzuhalten und zu verhindern, dass sie aus dem Strahlrohr austreten. Außerdem gibt es sogenannte Beam Dumps, in denen bei Notfallsituationen die Energie der Protonen gefahrlos in Wärmeenergie, bis zu 800 Grad Celsius, umgewandelt wird. So tragisch die Geschichte von Anatoli Bugorski auch ist, wir haben dadurch viel über die Wirkung hochenergetischer Strahlen auf das menschliche Gehirn gelernt sowie die Sicherheitsvorkehrungen in Teilchenbeschleunigern erheblich verbessert.
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