Der Elefantenfuß von Tschernobyl

Der Elefantenfuß in Tschernobyl

Ein gigantischer Klumpen radioaktiver Masse, der jeden innerhalb von 200 Sekunden umbringt – das ist der sogenannte Elefantenfuß in den Ruinen von Tschernobyl. Was hat es damit auf sich?

Am 26. April 1986 ereignete sich im Kernkraftwerk Tschernobyl in der heutigen Ukraine ein schwerer nuklearer Unfall. Während eines Tests am Reaktor Nr. 4 kam es zu einer Fehlfunktion, die zu einer plötzlichen Freisetzung von radioaktiven Materialien führte. Eine Explosion im Reaktor zerstörte das Dach und den oberen Teil des Gebäudes und setzte große Mengen an Radioaktivität in die Umwelt frei. Das war der verheerendste nukleare Unfall in der Menschheitsgeschichte und hatte schlimme Auswirkungen auf die Menschen und auch auf die Flora und Fauna in der Umgebung. 

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Um den Unfall in Tschernobyl zu bewältigen, wurde ein Sarkophag um den beschädigten Reaktor gebaut, um eine weitere Freisetzung von Radioaktivität zu verhindern. Dieser alte Sarkophag wurde aber nur behelfsmäßig errichtet und 2016 durch einen neuen Schutzmantel mit dem Namen New Safe Confinement ersetzt, der die Radioaktivität wesentlich besser abschirmt und mit allerlei Instrumenten und Kameras ausgerüstet ist. 

Sowjetische Arbeiter posieren vor dem ersten Sarkophag
Sowjetische Arbeiter posieren vor dem ersten Sarkophag

Neue Hülle in Tschernobyl

Die Notwendigkeit der neuen Hülle ist umstritten und einige Strahlenschutzexperten gehen davon aus, dass das Radioaktivitätslevel mittlerweile niedrig genug sei, um die alte Hülle weiter zu verwenden. Andere sagen, dass alleine schon wegen der Gefahr, dass die alte Hülle wegen einer Naturkatastrophe zusammenbrechen könnte, eine neue Hülle angemessen sei. Was aber unter allen Experten unstreitig ist, ist, dass sich im Kraftwerk noch vereinzelte Orte befinden, an denen die Radioaktivität immer noch extrem hoch ist. 

Zum Beispiel in Raum 217/2. Dieser Raum liegt etwa 15 Meter südöstlich des beschädigten Reaktors und sechs Meter über dem Boden. Und in diesem Raum befindet sich der Elefantenfuß, ein Gebilde aus stark strahlendem Material, eine zusammengeschmolzene Mischung, die euch heute, Jahrzehnte nach dem Unglück, immer noch durch ihre Strahlung töten könnte. Unten seht Ihr eine Aufnahme, die von Artur Korneyev aufgenommen wurde, einem hochrangigen Mitarbeiter bei der Planung der neuen Schutzhülle. 

Das Selfie mit dem Elefantenfuß

Wir sehen hier keinen Geist, sondern Artur Korneyev in einer frühen Form eines Selfies, aufgenommen mit Selbstauslöser. Eindrucksvoll sichtbar ist der Elefantenfuß. Im Prinzip ein großer radioaktiver Blob, ein totes Monster geboren durch den Reaktorunfall. Aber woraus besteht der Elefantenfuß genau? 

Selfie von Artur Korneyev vor dem Elefantenfuß
Selfie von Artur Korneyev vor dem Elefantenfuß

Was ist der Elefantenfuß in Tschernobyl?

Als es zur Kernschmelze im Reaktor 4 kam und dadurch auch zu einem radioaktiven Brand im ganzen Gebäude, entstanden immens hohe Temperaturen. Durch diese extremen Bedingungen verschmolz das Baumaterial des Gebäudes, also vor allem Beton, Stahl und Glas mit geschmolzenem Kernbrennstoff. Es ist nicht übertrieben, wenn man sagt, dass der Elefantenfuß eine Ausgeburt der Kernschmelze ist. Das geschmolzene Material, das bei einer Kernschmelze entsteht, nennt man Corium, ein Kofferwort aus Core, englisch für Kern, und der für chemische Elemente typischen Endung -ium, also das Kernelement. Corium ist also der geschmolzene Brennstoff, der sich aus Uran, Zirkonium, Graphit und anderen Stoffen zusammensetzt, und entsteht, wenn das Brennstoffelement eines Kernreaktors schmilzt und sich mit anderen Materialien im Reaktorbehälter vermischt. 

Und ich kann euch versprechen: Das Zeug möchte man sich nicht in den Kaffee mischen, denn es ist nach seiner Entstehung unfassbar heiß, radioaktiv und kann sich sogar durch die Wände fressen, wie wir am Elefantenfuß eindrucksvoll sehen. Ihr erinnert euch: Raum 217/2 ist 15 Meter vom Reaktor entfernt. Bis hierhin konnte das Corium vordringen und diese Ausgeburt der Hölle erzeugen. Das Ding erinnert statt an den Fuß eines netten Dickhäuters eher an eine Art Abszess, mit seiner mittlerweile schwarzen Färbung und faltigen Struktur. Dazu passt auch, dass der Elefantenfuß nur ein Teil einer viel größeren Masse ist, die sich unter dem Raum bis unter den Reaktor 4 erstreckt. 

Wie gefährlich ist der Elefantenfuß in Tschernobyl?

Über die Konsistenz des Elefantenfuß wissen wir aber einiges. Maxim Saveliev vom Institut für Sicherheitsprobleme von Kernkraftwerken sagt: “Zu Beginn war der Elefantenfuß so hart, dass die Wissenschaftler ein Kalaschnikow-Gewehr benutzen mussten, um ein Stück für die Analyse abzubrechen. Jetzt hat er mehr oder weniger die Konsistenz von Sand.”

Schwarzes Loch, Weißes Loch, Astro-Tim

Garantiert nicht radioaktiv – unser plüschiges Schwarzes Loch.

Jetzt stellt sich die Frage: Wie gefährlich ist der Elefantenfuß heute noch? Wir haben schon gesehen, dass Leute mit Schutzanzügen den Raum betreten und Fotos geschossen haben. Zur Zeit der Entdeckung, kurz nach der Nuklearkatastrophe, betrug die Radioaktivität in der Nähe des Elefantenfußes etwa 8.000 bis 10.000 Röntgen, eine Intensität, die innerhalb weniger Minuten eine so heftige Strahlenkrankheit verursacht, dass es unweigerlich zum Tode führt. Seitdem hat die Strahlung aufgrund des Zerfalls der radioaktiven Elemente massiv abgenommen. 

Aber bevor Ihr direkt eure Koffer packt, das ist kein Freifahrtschein für Raum 217/2. Laut einer Schätzung aus dem Jahr 2019 liegt die Strahlungsintensität in unmittelbarer Nähe des Elefantenfußes bei etwa 40 Sievert pro Stunde. Also, besser nicht riskieren, denn das ist eine sehr hohe Strahlendosis und kann die Strahlenkrankheit hervorrufen und bei längerem Aufenthalt in dem Rauch auch tödlich sein, wenn man ihr ungeschützt ausgesetzt ist. 

Ob und wie viele Leute sich durch den Elefantenfuß die Strahlenkrankheit eingefangen haben und vielleicht sogar gestorben sind, weiß keiner genau. Es existiert noch dieses mysteriöse Bild hier, aufgenommen vor dem bekannten Foto von Artur Korneyev von einem unbekannten Fotografen – einige halten es für eine Fälschung, da der Fotograf nicht bekannt ist. Zu dieser Zeit muss die Strahlenbelastung noch sehr hoch gewesen sein, so dass man nur hoffen kann, dass – wenn das Foto echt ist – dem Fotografen dies bewusst war und er entsprechende Schutzkleidung trug und nur kurze Zeit in dem Raum verbrachte. 

Bild eines unbekannten Fotografen
Bild eines unbekannten Fotografen vom Elefantenfuß in Tschernobyl

Und natürlich existieren in den Ruinen des Kernkraftwerks noch viel mehr dieser radioaktiven Ablagerungen, unnatürliche strahlende Stalagmiten und Stalaktiten, die überall durch die Wände des Gebäudes geschmolzen sind. Und an dieser Stelle sei auch an die Arbeiter erinnert, die an der ersten Sicherung nach dem Reaktorunglück arbeiteten und den ersten Sarkophag anbrachten. Viele dieser Leute arbeiteten unter widrigsten Bedingungen ohne angemessene Schutzkleidung und es ist bekannt, dass einige der Arbeiter an der Strahlenkrankheit starben. Auch für diesen traurigen historischen Fakt ist der Elefantenfuß heute noch ein deutliches Mahnmal.

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