Die Galaxie HD1 macht Forscher sprachlos. Denn sie dürfte eigentlich gar nicht existieren. Müssen wir vielleicht die komplette Geschichte des Kosmos inklusive Urknall über den Haufen werfen?
Wir alle sind Zeitreisende. Jeder Blick in den Kosmos ist ein Blick zurück in der Zeit. Wir sehen andere Himmelskörper so, wie sie aussahen, als das Licht sich auf den Weg gemacht hat. Den Jupiter seht Ihr im Durchschnitt so, wie er vor 43 Minuten aussah. Die Sonne, wie sie vor rund acht Minuten aussah. So lange braucht das Licht zu uns.
Dieser Blick in der Zeit zurück wird bei anderen Galaxien noch beeindruckender. Selbst unsere Nachbargalaxie, Andromeda, also die Galaxie, die am nächsten an unserer Milchstraße dran ist, ist stolze 2,5 Millionen Lichtjahre entfernt. Falls Ihr Astrofotografie betreibt, habt Ihr die Andromeda-Galaxie sicherlich schon mal vor die Linse bekommen. Ich finde den Gedanken faszinierend, dass wir auf solchen Fotos eine Galaxie sehen, wie sie vor Millionen von Jahren aussah. Das entspricht gar nicht unserer normalen Wahrnehmung, denn im Alltag sehen wir die Dinge natürlich meistens live.

Diese unfassbare Tatsache, dass wir in der Zeit zurückblicken können, können wir uns zunutze machen, um sogar bis in die Anfangszeit des Kosmos zurückzuschauen. Richtig gehört: Wir können mit modernen Teleskopen das Licht einfangen, das vor Milliarden von Jahren ausgesandt wurde und so die ersten Galaxien des Kosmos beobachten. Eine Zeitreise von epischem Ausmaß, die keine Science Fiction ist, sondern mit den aktuellen technischen Mitteln problemlos möglich ist.
Die am weitesten entfernte Galaxie: HD1
Und nun haben Astronomen etwas ganz Besonders entdeckt: Die älteste und am weitesten entfernte jemals gefundene Galaxie überhaupt. Unten seht Ihr ein Originalfoto dieser uralten Galaxie namens HD1. Aufgenommen wurde es mit Hilfe des Spitzer-Weltraumteleskops, dem Subaru-Teleskop auf Hawaii und der ALMA-Teleskopanlage in Chile. Unfassbar, dass wir von dieser ältesten Galaxie, einer Zeitzeugin der Epoche kurz nach dem Urknall, eine echte Aufnahme haben.

HD1 ist wohl 300 Millionen Jahre nach dem Urknall entstanden, das Licht reiste also 13,5 Milliarden Jahre von ihr zu uns auf dieses Foto. Das ist aber nicht ihre tatsächliche Distanz von uns aus gesehen, da der Kosmos selbst schneller als Lichtgeschwindigkeit expandiert. Dadurch ergibt sich eine tatsächliche Entfernung von über 33 Milliarden Lichtjahren, obwohl das Universum erst 13,8 Milliarden Jahre alt ist. Wie gesagt: Das ist kein Widerspruch zur Relativitätstheorie, denn der Kosmos selbst hält sich nicht an die Regel, das in ihm Lichtgeschwindigkeit das schnellste ist.
HD1: zu hohe UV-Strahlung
Das Alter von HD1 ist auch der Grund für ihre starke Rotverschiebung. Je weiter sich eine Galaxie von uns entfernt, desto mehr wird das Licht, das von ihr ausgeht, gestreckt und in den roten Bereich des Lichtspektrums verschoben. Das nennt man eben Rotverschiebung und da der Weltraum expandiert, kann man anhand der Rotverschiebung einer Galaxie herausfinden, wie weit sie von uns weg ist, also wie weit sie bereits gemeinsam mit dem Kosmos wegexpandiert ist. Doch wenn man diese Rotverschiebung durch die Expansionsbewegung ausrechnet, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass HD1 unglaublich hell im UV-Bereich strahlt – und das hat die Astronomen sprachlos gemacht, denn von den frühen Galaxien des Kosmos ist man eine solch hohe UV-Strahlung absolut nicht gewohnt. HD1 ist also ein echtes Mysterium vom Anbeginn der Zeit, dessen Geheimnisse wir nun, Milliarden Jahre später versuchen zu entschlüsseln.
Klar ist, dass innerhalb von HD1 hochenergetische Ereignisse stattfinden müssen – oder besser gesagt: in der Vergangenheit stattgefunden haben, die diese immense UV-Strahlung verursachen. Nur ist es natürlich immens schwierig, etwas über die Ereignisse in einer Galaxie herauszufinden, die Milliarden Lichtjahre entfernt ist. Der beteiligte Forscher Fabio Pacucci vom Harvard University & Smithsonian Astrophysical Observatory beschreibt es so: “Es ist, als würde man die Nationalität eines Schiffes anhand der Flagge erraten, die es führt, während man sich weit weg an Land befindet und das Schiff inmitten eines Sturms und dichten Nebels liegt. Man kann vielleicht einige Farben und Formen der Flagge erkennen, aber nicht in ihrer Gesamtheit. Letztendlich ist es ein langes Spiel der Analyse und des Ausschlusses unplausibler Szenarien.”
HD1: Theorien für energiereiche Strahlung
Die Forscher haben aber zwei Theorien, die die energiereiche Strahlung von HD1 erklären könnten: Entweder befand sich im Zentrum von HD1 ein mächtiger Quasar oder es handelt es sich hier um eine sogenannte Starburst-Galaxie. Fangen wir mal mit dem Quasar an. Quasare gehören zu den unglaublichsten Objekten im Universum. Es handelt sich um aktive Galaxienkerne, in denen ein Schwarzes Loch umliegende Sterne und Gasnebel verschlingt und heftige Energieausbrüche in den Kosmos schleudert. Um das Schwarze Loch sammelt sich eine sogenannte Akkretionsscheibe, in der so viel Energie steht, dass sie dann in Jets fort geschossen wird. Wenn das die Erklärung für die starke UV-Strahlung von HD1 wäre, dann hätten wir gleich noch einen Rekord: Dann wäre HD1 auch der bisher fernste und älteste je beobachtete Quasar.

Aber es gibt ein Problem: Anhand der Strahlung von HD1 kann man ausrechnen, dass ein aktives Schwarzes Loch im Zentrum dieser Galaxie rund 120 Millionen Sonnenmassen schwer sein müsste. Für ein Schwarzes Loch, das so früh nach dem Urknall entstanden ist, ist das aber ein erstaunliches Gewicht. Um nicht zu sagen: Es ist im Prinzip ein unmögliches Gewicht, denn in dieser frühen Phase des Universums gab es eigentlich noch nicht genügend Zeit, um so viel Masse zu verschlucken, um so schwer zu werden. Und das ist es, was die Astronomen so ratlos macht: Wie kann der Quasar nur 300 Millionen Jahre nach dem Urknall so schwer sein? Ist vielleicht mit unserer Theorie des Alters des Universums irgendetwas nicht in Ordnung? Der bekannte Astrophysiker Avi Loeb sagt: “Ein paar 100 Millionen Jahre nach dem Urknall muss ein Schwarzes Loch in HD1 aus einem massiven Keim mit einer noch nie dagewesenen Geschwindigkeit gewachsen sein. Einmal mehr scheint die Natur einfallsreicher zu sein als wir.”
Oder gibt es noch einen anderen Erklärungsansatz für die kuriosen Eigenschaften von HD1? Eine andere Erklärung wäre, dass es sich um eine Starburst-Galaxie handelt. Das sind Galaxien, in denen es zu einer ungewöhnlich hohen Bildung von neuen Sternen kommt. Viele Galaxien werden durch Zusammenstöße mit anderen Galaxien zu Starburst-Galaxien, weil durch die Kollision jede Menge Wasserstoff und Helium in die Galaxie gespült werden, woraus dann neue Sterne bestehen. Die erhöhte Sternentstehung könnte also erklären, weshalb HD1 so viel Energie aussendet.

Population-III-Sterne: Die ältesten Generationen
Aber auch hier gibt es ein Problem: Für die gemessene Strahlungsmenge müsste HD1 mehr als 100 Sterne pro Jahr erzeugen, das ist mindestens zehnmal mehr als man für solche frühen Galaxien erwarten würde. Eine Erklärung könnte sein, dass in HD1 eine ganz besondere Art von Sternen entstanden ist, sogenannte Population-III-Sterne. Das sind Sterne der ältesten Generation, die im Gegensatz zu heutigen Sternen, wie wir sie beispielsweise aus der Milchstraße kennen, massereicher, leuchtstärker und heißer waren. Weil die Population-III-Sterne mehr UV-Licht produzieren, könnte das also die extreme UV-Helligkeit von HD1 erklären.
Bisher konnte man solche Population-III-Sterne noch nie direkt nachweisen, auch das wäre also ein absoluter Meilenstein. Möglich wäre auch eine Kombination aus beiden Erklärungsansätzen: HD1 könnte eine relativ hohe Sternentstehungsrate und einen relativ schweren Quasar im Zentrum besessen haben. Die ganze Sache bleibt aber extrem rätselhaft.
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