Deutsche Wildschweine sind radioaktiv – gewagte These, oder? Forscher rätseln schon lange über das sogenannte Wildschwein-Paradoxon und nun haben wir es gelöst.
Versetzen wir uns zurück ins Jahr 1986, als die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl geschah. Nach dieser Katastrophe stiegen die Strahlenwerte in weiten Teilen Europas, und Deutschland war keine Ausnahme. Radioaktives Cäsium-137 gelangte in die Umwelt und wurde von Pflanzen und Tieren aufgenommen.
In den Jahrzehnten nach der Tschernobyl-Katastrophe sank die radioaktive Belastung in vielen Tierarten, Pflanzen und Pilzen. Das geschah, weil der Regen das radioaktive Material aus der Umwelt spülte, es sich in Mineralien band und sich tief in den Boden verlagerte. Dadurch nahm die Belastung für Menschen und Tiere ab, und die Lebensmittel konnten wieder als sicher betrachtet werden. So weit, so gut, aber eine Sache stellte die Wissenschaftler vor ein Rätsel.
Das Wildschwein-Paradoxon
Während die Kontamination in Pilzen, Pflanzen aber auch Wildtieren wie Hirschen und Rehen im Laufe der Zeit abnahm, blieben die Wildschweine mysteriöserweise stark radioaktiv belastet. Proben von Wildschweinfleisch aus Mitteleuropa enthalten teilweise eine Cäsiumbelastung, die den europäischen Grenzwert um das 25-fache überstieg. Warum sind die Wildschweine immer noch so stark kontaminiert, obwohl Cäsium-137 eine Halbwertszeit von etwa 30 Jahren hat? Nach dieser Zeit sollte die Kontamination erheblich abnehmen und Tschernobyl ist jetzt schon 37 Jahre her.
Wildschweine sind radioaktiv – warum?
Ein Teil der Antwort ist, dass nicht nur die Tschernobyl-Strahlung verantwortlich ist, sondern dass auch die Radioaktivität von Kernwaffentests im 20. Jahrhundert im deutschen Boden schlummert. Obwohl Tschernobyl die Hauptquelle für Cäsium in Wildschweinen ist, wies etwa ein Viertel der Proben einen so hohen Anteil an Radioaktivität aus Kernwaffentests auf, dass der Grenzwert schon so überschritten wurde, ohne dass der Beitrag von Tschernobyl berücksichtigt wurde.
Jetzt fragt man sich, woher man überhaupt wissen will, welche Strahlung aus welcher Quelle stammt. Ganz einfach: Die Isotope unterscheiden sich. Durch Tschernobyl stieg vor allem die Menge an Cäsium-137 an. Aber ein wesentlich stabileres Isotop – Cäsium-135, das übrigens eine Halbwertszeit von über zwei Millionen Jahren hat, wurde auch gemessen. Nach früheren Forschungsergebnissen lässt sich anhand des Verhältnisses von Cäsium-135 zu Cäsium-137 feststellen, woher das Cäsium stammt; ein hohes Verhältnis deutet auf Kernwaffenexplosionen hin, während ein niedriges Verhältnis auf Kernreaktoren als wahrscheinliche Quelle hindeutet.

Das Forscherteam hat nun genau dieses Cäsium-Verhältnis in 48 Proben besten bayerischen Wildschweinfleischs getestet. Und anhand des Cäsium-Verhältnisses ermittelten die Forscher, dass Atomwaffentests für zwölf bis 68 Prozent der Kontamination in den Proben verantwortlich waren, die den sicheren Grenzwert für den Verzehr überstiegen. Relativ ungenauer Wert, aber klar ist, dass Tschernobyl hier nicht das alleinschuldige Ereignis ist. Die Forscher schreiben: „Alle Proben zeigen Signaturen der Vermischung. Kernwaffenfallout und Tschernobyl haben sich im bayerischen Boden vermischt, wobei die Freisetzungsmaxima etwa 20-30 Jahre auseinander lagen.“
Diese Kernwaffentests fanden nicht in Deutschland statt, aber haben trotz dieser immensen Distanz Einfluss auf die Natur hier. Jetzt stellt sich aber immer noch die Frage, warum gerade die Wildschweine in Tschernobyl davon so betroffen sind.
Trüffel als Quelle für Radioaktivität

Wer schon mal Wildschweine beim Fressen beobachtet hat, weiß, dass sie mit ihren Rüsselnassen tief im Boden wühlen, um Nahrung zu finden. Und ihre Leibspeise sind Hirschtrüffel. Doch dass Wildschweine solche Gourmets sind, bezahlen sie mit erhöhter Radioaktivität. Denn in diesen weit unter der Erde wachsenden Pilzen reichert sich das radioaktive Cäsium erst mit großer Verzögerung an. Es kann Jahrzehnte dauern, bis die radioaktiven Isotope so weit nach unten vorgedrungen sind und sich dann in den Pilzen anreichern, weil die meisten Hirschtrüffel in 20 bis 40 Zentimetern Tiefe liegen.
Und andere Tierarten graben nicht so tief nach Nahrung wie die Connaisseure des Tierreichs, die Wildschweine. Der beteiligte Forscher Georg Steinhauser von der Technischen Universität Wien sagt: „Das Cäsium wandert sehr langsam durch den Boden nach unten, manchmal nur rund einen Millimeter pro Jahr. Wenn man all diese Effekte addiert, lässt sich erklären, warum die Radioaktivität der Hirschtrüffel – und in weiterer Folge der Schweine – größenordnungsmäßig relativ konstant bleibt.”
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Die Wildschweine werden wohl nicht aufhören zu strahlen, denn das Tschernobyl-Cäsium erreicht gerade erst diese tieferen Schichten, wo sich die Trüffel befinden. Das Wildschwein-Paradoxon ist also gelöst, doch bedeutet das, dass Ihr auf euer Wildschweingulasch, Rotkohl und Klöße verzichten müsst? Nein, denn Wildschweinfleisch, das in den Handel gelangt, wird in Deutschland getestet und man muss nicht davon ausgehen, ein radioaktiv belastetes Stück Gulasch am Weihnachtsabend zu verzehren.
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