Wissenschaftler der Teilchenphysik haben Hinweise entdeckt, dass es eine ganz neue Physik geben könnte. Diese kann unser Verständnis des Universums völlig auf den Kopf stellen.
Das Fermilab in Illinois in den USA ist eine Forschungseinrichtung, die vor allem der physikalischen Grundlagenforschung dient. Man könnte sagen: Hier werden kleinste Teilchen zur Kollision gebracht, um die Grundzüge unser physikalischen Realität zu verstehen. Denn, wenn wir herausfinden, wie kleinste Elementarteilchen miteinander wechselwirken, dann ist das der Schlüssel dazu, wie das Universum eigentlich funktioniert. Aber wie läuft das genau ab? Wie bringt man Teilchen zum Kollidieren und was für Erkenntnisse zieht man dann daraus?
Um die Wechselwirkung zwischen Elementarteilchen zu untersuchen, benötigt man riesige Teilchenbeschleuniger. Bis zum Jahre 2011 wurde am Fermilab zu diesen Zwecken der Tevatron-Teilchenbeschleuniger genutzt, der einen Umfang von sechs Kilometern aufwies. In diesen großen Anlagen können Teilchen beinahe auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und zur Kollision gebracht werden. Im Tevatron ließ man vor allem Protonen und Anti-Protonen kollidieren.

Aber wie misst man dann den Effekt, wenn zwei Teilchen miteinander kollidieren? Dafür sind in Teilchenbeschleunigern wie dem Tevatron eine Vielzahl von sogenannten Teilchendetektoren installiert, die die Flugbahn der kollidierten Teilchen messen können. Durch die Flugbahn wiederum kann man Rückschlüsse auf den Effekt der Kollision ziehen und insbesondere darauf, welche neuen Teilchen eventuell durch die Kollision entstanden sind. Grundsätzlich stehen die Ergebnisse solcher Teilchenkollisionen immer im Einklang mit dem sogenannten Standardmodell der Physik.
Das Standardmodell ist im Prinzip die Gesamtheit der Erkenntnisse, die wir heutzutage im Hinblick auf die Physik von Elementarteilchen für richtig halten. Das Standardmodell beschreibt vor allem die uns bekannten Elementarteilchen, also die allerkleinsten Bausteine der Materie, und die Wechselwirkungen zwischen diesen Teilchen, also insbesondere die starke Wechselwirkung, die schwache Wechselwirkung und die elektromagnetische Wechselwirkung. Wenn sich das Standardmodell als fehlerhaft herausstellen sollte, müssten wir im Prinzip alle unsere Annahmen über den Kosmos in Frage stellen. Warum aber glauben die Teilchenphysiker, dass Daten des Fermilabs das Standardmodell der Physik ins Wanken bringen könnten?
Aus Teilchenzerfällen im Tevatron-Beschleuniger haben die Physiker am Fermilab die Masse des W-Bosons neu ermittelt – so genau wie nie zuvor. Da könnte man jetzt ganz unbedarft fragen…
Was ist ein W-Boson?

Ein W-Boson ist ein Elementarteilchen, also eines der kleinsten bekannten Bausteine der Materie. Das W-Boson ist verantwortlich für die sogenannten „geladenen Ströme“ der schwachen Wechselwirkung, einer der fundamentalen Wechselwirkungen der Physik. Das W-Boson ist kein normales Elementarteilchen, im Gegensatz zum Beispiel zu den Elementarteilchen, aus denen Ihr oder alles, was Ihr kennt, besteht. Es ist ein sogenanntes Eichboson. Das bedeutet, dass es nur in hochenergetischen Experimenten der Teilchenphysik zum Vorschein kommt und nicht im normalen Alltag.
Halten wir fest, dass das W-Boson ein Elementarteilchen ist, dass die schwache Wechselwirkung, also eine der vier Elementarkräfte der Physik überträgt. Es ist ein Trägerteilchen einer der Grundkräfte der Physik. Und gemäß des Standardmodells der Physik besitzt ein W-Boson eine gewisse Masse, nämlich ungefähr die 80-fache Masse eines Protons, also eines positiv geladenen Elementarteilchens.
Doch jetzt das Unerwartete: Die Auswertung der Versuche am Fermilab haben eine andere Masse des W-Bosons ergeben. Es ist demnach signifikant schwerer, als es der Theorie nach sein dürfte. Das klingt erstmal unspektakulär, doch das würde bedeuten, dass das Standardmodell der Physik falsch liegt – und wenn das Standardmodell der Physik falsch ist, dann würde das im Prinzip all unsere Annahmen über die Naturgesetze des Kosmos betreffen. Das Gewicht des kleinen W-Boson hat also massive Auswirkungen auf unser Verständnis des gesamten riesigen Kosmos.

Die Messungen am Fermilab beruhen auf Daten des schon erwähnten Tevatron-Teilchenbeschleunigers, in dem Protonen und Antiprotonen mit hoher Geschwindigkeit zur Kollision gebracht wurden. Bei diesen Kollisionen entstehen W-Bosonen, die nach kurzer Zeit entweder in ein Elektron und Neutrino oder ein Myon und Neutrino zerfallen. Was es mit diesen Teilchen im einzelnen auf sich hat, würde die Länge des Beitrags sprengen, wichtig ist auch nur, dass aus der Flugrichtung und Energie dieser Zerfallsprodukte ermittelt werden kann, wie schwer das W-Boson sein muss. Und das Ergebnis der Forscher: Das W-Boson besitzt eine Masse von 80,4335 Megaelektronenvolt – es dürfte gemäß des Standardmodells aber nur 80,357 Megaelektronenvolt besitzen.
Wie ist das also zu erklären? Vielleicht handelt es sich nur um einen Messfehler? Unwahrscheinlich, denn die Daten der Physiker beruhen auf 4,2 Millionen solcher Teilchenzerfälle im Tevatron-Beschleuniger, die zwischen 1985 und 2011 registriert wurden. Der beteiligte Physiker Ashutosh Kotwal sagt dazu: “Dieser Datensatz ist viermal so groß wie bei früheren Messungen und hat eine doppelt so hohe statistische Genauigkeit. Wir haben unser Ergebnis einer enormen Menge an Überprüfungen und Tests unterzogen.“
Also spricht einiges dafür, dass kein Messfehler vorliegt, sondern tatsächlich das physikalische Standardmodell unvollständig ist. Das muss nicht zwingend bedeuten, dass alle unsere physikalischen Annahmen falsch sind, aber dass es noch unbekannte physikalische Prozesse gibt, vielleicht noch nicht entdeckte Elementarteilchen, und das Standardmodell erweitert oder angepasst werden muss. Es könnte auch bedeuten, dass es noch unentdeckte Wechselwirkungen auf subatomarer Ebene gibt, die das W-Boson beeinflussen und zu den unerwarteten Ergebnissen führen.
Bisher haben sich solche Messergebnisse, die das Standardmodell in Frage stellen, immer als unkorrekt beziehungsweise Messfehler herausgestellt, aber diesmal sieht es so aus, als wäre das physikalische Standardmodell erstmals in realer Gefahr. Physiker und Sprecher des Fermilabs David Toback sagt: “Wenn die Diskrepanzen zwischen erwartetem und gemessenem Wert auf ein neues Teilchen oder eine noch unbekannte subatomare Wechselwirkung zurückgehen, dann besteht eine gute Chance, dass sie in künftigen Experimenten entdeckt werden.”
Ihr wollt mehr über W-Boson erfahren? Dann schaut euch das neue Video von Astro-Tim an:
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