Eine fragile Wand schützt uns vor der eisigen Apokalypse des Polarvortex. Warum diese Wand brechen und der Polarvortex uns eine massive Kälteperiode bescheren könnte, erfahrt Ihr in diesem Beitrag.
Bei der Wand handelt es sich um den Polarnacht-Jetstream und bei der eisigen Gefahr jenseits dieser Wand um den Polarvortex oder auch Polarwirbel genannt. Aber was ist der Polarwirbel? Es handelt sich um ein großes Gebiet mit niedrigem Luftdruck und kalter Luft, das beide Pole der Erde umgibt – und zwar immer, auch wenn es sich im Sommer abschwächt und im Winter wieder stärker wird. Der Begriff „Vortex” oder „Wirbel” bezieht sich auf die Luftmassen, die nahe den Polen zirkulieren und durch einen Jetstream kreisförmig eingegrenzt werden.

Warum gibt es Jahreszeiten?
Die Erdachse ist schief. Genau genommen ist sie um 23,27 Grad geneigt. Diese Neigung beschert uns die Jahreszeiten, da der Einfallswinkel des Sonnenlichts sich dadurch über das Jahr hinweg unterscheidet. In der Nähe der Pole führt dies zu den Phänomenen Polartag, wenn die Sonne im Sommer gar nicht mehr untergeht, und Polarnacht, wenn sie im Winter nicht mehr aufgeht.
Da die Sonne den Nordpol im Winter kaum noch erreicht, wie wir gerade festgestellt haben, sinken dort die Temperaturen im November und Dezember massiv. Und das sowohl am Boden als auch in der mittleren Atmosphärenschicht, der Stratosphäre. Die Luft in zirka 30 Kilometern Höhe sinkt über dem Nordpol auf minus 60 bis minus 80 Grad.
Jetzt könnte man sich fragen, weshalb dieses Kaltluftgebiet nicht einfach vom Pol wegströmt und den Rest der Erde mit seinen eisigen Winden zum Bibbern bringt. Der Grund dafür ist, dass die weißen Wanderer eingesperrt sind, denn rund um diese eiskalte Luft bildet sich eine starke Windströmung aus: der Polarnacht-Jetstream. Dieser Jet umkreist die arktische Region und trennt den Polarwirbel von den mittleren Breiten des Planeten. Er wirkt als Barriere für den Lufttransport und isoliert die stratosphärische Luft über der Arktis. Anders gesagt: Der Polarnacht-Jet ist die Mauer, die uns vor den eisigen Gefahren aus dem Norden beschützt…
Polarvortex auch im Süden
Das gilt natürlich nicht nur für die Nordhalbkugel, sondern genauso für die Südhalbkugel. Der Südhalbkugel-Polarwirbel erstreckt sich ebenfalls durch die Stratosphäre und in die Mesosphäre, aber im Gegensatz zum Nordwirbel ist der Südwirbel stärker, größer und länger anhaltend. Darüber hinaus sind die Temperaturen kälter und die Ozonwerte niedriger als im Norden.
Es kann passieren, dass die uns beschützende Mauer nicht hält und die Invasion aus den tödlichen, eisigen Bereichen dahinter beginnt. Man nennt dies ein Polarwirbel-Ereignis oder auch Polarwirbel-Disruption. Vor allem während des Winters verstärkt der Polarnacht-Jet den Polarwirbel und hält die kalte Luft fest um die Pole herum. Durch verschiedene Faktoren kann es aber passieren, dass der Polarnacht-Jet geschwächt oder sogar in zwei Teile aufgespalten wird. Und diese Störungen können dann dazu führen, dass kalte Luftmassen aus dem Polarwirbel plötzlich nach Süden in niedrigere Breitengrade einfallen können.

Unten sehen wir eindrucksvoll, wie im Dezember 2022 die polare Kälte durch eine Polarwirbel-Disruption weit nach Süden gewandert ist, um Weihnachten herum dann sogar bis nach Florida. Das zeigt deutlich die Macht des Polarvortex. Selbst das ansonsten karibisch anmutende Florida kann er mit eisigen Temperaturen in seinem Bann ziehen. Und das bedeutet natürlich, dass wir in Europa genauso im Einzugsbereich dieser frostigen Mächte sind, sobald der Polarnacht-Jet nachgibt.
Polarvortex und Corioliskraft
Da stellt sich die Frage: Was führt denn dazu, dass dieser Jetstream schwächelt? Am Hauptfaktor, der ihn verursacht, kann es nicht liegen: Der Corioliskraft. Durch unterschiedliche Sonneneinstrahlung und Temperaturen in verschiedenen Breitengraden kommt es dazu, dass Luftströmungen sich vom Äquator Richtung Pol bewegen, und aufgrund der Erddrehung werden diese Strömungen dabei Richtung Osten abgelenkt. Diese Ablenkung der Luftströmungen durch die Rotation der Erde, das beschreibt man mit der Corioliskraft. Und dieser Effekt liegt allen Jetstreams zugrunde und solange die Rotation der Erde nicht anhält, werden die Jetstreams auch niemals stoppen.

Aber es gibt noch weitere Faktoren, die die Jetstreams beeinflussen, im Falle des Polarnacht-Jets ist das vor allem der massive Temperaturunterschied. Innerhalb der Grenzen des Polarnacht-Jets, dort wo der Polarvortex sein Unwesen treibt, wird es im Winter unfassbar kalt, von außerhalb strömt warme Luft vom Äquator und prallt an seiner Außengrenze ab. Dieser Zusammenprall von Kalt- und Warmtemperaturen führt zu einem massiven Druckunterschied zwischen der Luft innerhalb und außerhalb des Polarnacht-Jets, der ihn wiederum stärkt.
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Unter normalen Umständen hält diese Mauer also und zehrt von den extremen Kräften, die an ihr aufbranden. Aber verschiedenste Faktoren bringen sie dazu, ihren Kurs abzuändern, oder im Extremfall sogar auseinanderzubrechen. Das kann beispielsweise geschehen, falls der Druckunterschied nachlässt, weil die Temperaturen von Süden kälter oder die innerhalb des Vortex wärmer als sonst sind. Globale Wetterphänomene wie El Niño haben ebenfalls Auswirkungen auf den Verlauf der Ozeantemperaturen und dadurch dann auch auf die Jetstreams.
Selbst die Sonnenaktivität ist ein Faktor, der Auswirkungen auf den Polarnacht-Jet hat. Und wenn er gestört wird, beginnt er Umwege zu suchen und in Kurven zu verlaufen, was es der vorher eingesperrten kalten Luft des Polarvortex erlaubt, weiter südlich zu reisen und im Extremfall kann der Polarnacht-Jet sogar für eine gewisse Zeit komplett kollabieren. Sichtbar wird das meistens durch einen rapiden Temperaturanstieg in der Atmosphäre über der Polarregion um bis zu 50 Grad in wenigen Tagen.
Plötzliche Stratosphärenerwärmung
Die warmen Temperaturen entstehen, weil der Polarvortex nicht mehr auf engem Raum begrenzt ist, sondern sich verteilt. Dadurch wird es am Pol wärmer, aber dort, wo die eisige Luft des Polarwirbels hinfließt, wird es natürlich kälter. Man bezeichnet dies auch als Plötzliche Stratosphärenerwärmung, oder auf Englisch Sudden Stratospheric Warming, kurz SSW. Kalte Luft fließt nach Süden, trifft auf Schichten aus wärmer Luft, das ganze System des Polarnacht-Jets bricht zusammen und plötzlich werden Orte wie Deutschland, die normalerweise sicher auf der warmen Außenseite des Polarnacht-Jets sind, von den weißen Wanderern, äh, dem Polarvortex heimgesucht.
Es gibt Aufnahmen an, die der Astronaut Scott Kelly 2016 von der ISS gemacht hat, auf denen man genau sieht, wo der Polarvortex anfängt und wie mächtig dieses eisige Luftgebiet ist. Scott Kelly schrieb damals dazu: „Der Polarvortex sieht sogar von hier oben kalt aus!” Und jetzt stellt euch vor, diese Mauer bricht und Ihr werdet von diesen eisigen Luftmassen überrollt… es ist natürlich nicht das Ende der Welt und passiert auch regelmäßig. 2009 etwa kam es zu einem Rekordwinter durch ein Polarwirbel-Ereignis. Die Durchschnittstemperatur des Winters 2009/2010 lag um 1,5 Grad unter dem Mittelwert. Lange Zeit befanden sich große Teile Deutschlands unter einer Schneedecke, die in Berlin zum Beispiel vom 30. Dezember bis zum 26. Februar, also 59 Tage, ununterbrochen anhielt.

Und das wird wieder passieren. Es gibt sogar Hinweise darauf, dass Polarwirbel-Disruptionen häufiger werden. Die steigenden Temperaturen in der Arktis könnten dazu führen, dass der Temperaturunterschied zwischen den polaren und mittleren Breitengraden abnimmt. Dieser sogenannte Temperaturgradient spielt aber eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung des Polarwirbels. Ironischerweise könnten also wärmere Temperaturen zu instabileren Zuständen des Polarwirbels führen und uns damit mehr Rekordwinter bescheren. Wann es genau zum nächsten Polarwirbel-Ereignis kommen wird, kann man noch nicht sagen, aber eines ist klar: Winter is coming.
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